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Special

Lawinen

Risiko – Management

Es war der 17 Jänner 2004. Wir waren die Ersten, die an einem klirrend kalten Morgen im Januar 2004 in der Mayrhofener Gondel sassen. Zusammen mit einem Freund und einem Filmer wollte ich den ersten sonnigen Tag nach ergiebigen Schneefällen zum Filmen nutzen.

Nachdem sich der letzte Nebelschleier verzogen hatte, und sich der Kameramann am Hang gegenüber positioniert hatte, konnte es endlich losgehen. Als schlussendlich alles per Funk abgecheckt und er mich mit 3,2,1 einzählte, dropte ich in einen trichterförmigen ca. 45° – 50° Grad steilen Channel, der 800 m tiefer, nach etlichen fetten Cliffs und Felsvorsprüngen in einem Bachbett endete. Schon beim ersten Turn bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Nur Sekundenbruchteile später, befand ich mich in einem Schneebrett, das rasend schnell gewaltige Ausmasse annahm. Nachdem ich die ersten 80 m noch auf der riesigen Scholle vertikal nach unten trieb, konnte ich mich schliesslich doch noch mit voller Kraft nach Links retten und somit das Schneebrett mit einem kleinen Drop verlassen. In den folgenden zehn Minuten durchdrang den gesamten Kessel kein einziger Sonnenstrahl mehr. Es herrschte absolute Ruhe, bis ängstliche Panikschreie des Filmers aus meinem Funkgerät kratzen.

Wie sich später auf dem Video herausstellte, hatte ich unglaubliches Glück, da sich das Schneebrett nach meinem Verlassen in eine riesige Staublawine verwandelte und später am Lawinenkegel und im Bachbett lagen bis zu 15 Meter Schnee. Somit war klar, dass ich den Stillstand dieser Lawine mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht überlebt hätte. Wieso es zu diesem gewaltigen Abgang kommen konnte, wurde uns erst im Nachhinein bewusst. Die Tage zuvor hatten wir massive Schneefälle auf eine äusserst beschissene Unterlage. Durch die Kälte konnte sich die Neuschneeschicht mit der darunterliegenden Base nicht verbinden. Resultat war eine perfekte Gleitschicht. Entgegen all dieser Bedingungen und meiner Kenntnisse als Local blendete der Drang nach fetten Filmaufnahmen jegliche Bedenken aus. Diese Entscheidung hätte ich beinahe mit dem Leben bezahlt. Daher beschäftige ich mich seither noch intensiver mit der Gefahr von Lawinen.

Auf den folgenden Seiten möchte ich euch daher die wichtigsten Basics nahe bringen, damit euch nicht der gleiche Fehler passiert wie mir.


Die Zusammenhänge, die für die Entstehung von Lawinen verantwortlich sind, sind zu komplex, als dass hier ausreichend Platz vorhanden wäre, um diese gründlich genug zu beschreiben. Vielmehr will ich euch lediglich einen ganz knappen Überblick in dieser Thematik geben. Das genaue Verständnis über Lawinen und ihre Gefahren, können euch ausschliesslich Camps und entsprechende Literatur vermitteln.

Unter den vielen unterschiedlichen Arten von Lawinen ist die Variante des Schneebretts für uns Freerider die gefährlichste. Kennzeichen einer Schneebrettlawine ist der linienförmige Anriss. Die abbrechenden Schneemassen gleiten darauf hin, blitzschnell als Schollen, wie auf einer blank polierten Fläche, ins Tal. Während andere Lawinenarten oft unterhalb oder in einer Störungsstelle, zum Beispiel der Spur eines Skifahrers, entstehen, bricht eine Schneebrettlawine meist oberhalb der Spur ab und erfasst den Skifahrer. Und wer sich einmal in den Fängen einer Lawine befindet, hat selten die Chance aus ihr wieder herauszufahren.

Was beeinflusst jetzt aber eine Lawine? Im Grunde genommen ist es das Zusammenspiel von Wetter, Gelände und der Schneedecke. Unser Verhalten im Gelände muss natürlich auch hinzugezählt werden, dazu aber mehr auf der nächsten Seite. Die zentrale Bedeutung bei diesen Faktoren kommt natürlich der Schneedecke zu, die sich durch ihren Wassergehalt, ihre Festigkeit und ihren Schichtaufbau charakterisieren lässt. Klar, ohne Schneefälle würde es keine Lawinen geben. Doch massive Niederschläge sind meist eher die Ursache von Katastrophenlawinen. Viel gefährlicher ist der Wind, der oft als „Baumeister der Lawinen“ beschrieben wird. Nach Stürmen können meterhohe Schneeverfrachtungen in Hänge und Rinnen entstehen, die schon bei geringer Störung abgehen. Leehänge besitzen also immer eine höhere Lawinengefahr. Eine wichtige Rolle spielt auch die Hangneigung. Normalerweise wird die Spannweite der zur Lawinenbildung geeigneten Neigungen mit 20-60° angegeben, besonders häufig ist die Klasse 30-50° betroffen. Vegetationsbedeckung kann sowohl Lawinen begünstigen als auch verhindern. Der Wald gilt fälschlicherweise als stabilisierender Faktor, was jedoch kaum für lockere subalpine Bestände gilt. Schliesslich tragen auch noch Temperaturverhältnisse, Höhenlage und Exposition zur Entstehung von Lawinen bei, die aber untereinander und von anderen Faktoren auch noch beeinflusst werden. Deswegen will ich es auch hierbei belassen.

Wissen ist Macht. Für uns Freerider bedeutet das, dass nur derjenige an den besten Spots gefahrlos riden kann, der sich mit der Problematik von Lawinen intensiv auseinandergesetzt hat. Für Einsteiger führt also an entsprechenden Camps kein Weg vorbei. Schon gar nicht wenn diese, wie die von saac (www.saac.at), kostenlos angeboten werden. Die vermittelten Basics sind danach aber auf keinen Fall ein Freifahrtsschein. Vielmehr heisst es nun, die erlernten Kenntnisse zu vertiefen und immer wieder zu trainieren.

Anders als die meisten von euch denken würden, fängt die Vorbereitung für euer Freeride Erlebnis schon zuhause mit einem Blick auf den Wetterbericht. Denn bei Sturm, massiven Niederschlägen oder schlechter Sicht, ist das Backcountry für uns tabu. Basta! Wetterseiten gibt es viele, ich würde euch die vom Alpenverein empfehlen, da sie speziell auf uns Bergsportler zugeschnitten ist (www.alpenverein.at). Schritt Zwei führt euch auf www.lawine.at oder lawine.org. Dort findet ihr den tagesaktuellen Lawinenlagebericht inklusiver seiner europäischen Lawinen-Gefahrenskala mit fünf Gefahrenstufen. Fünf! Leider, denn im Grunde dürfte sie nur drei Punkte haben, denn bei den Stufen 4 und 5 hat niemand etwas abseits der präparierten Pisten verloren. Ihr spielt mit eurem Leben, wenn ihr euch über dieses ungeschriebene Gesetz hinwegsetzen wollt. Neben der unmissverständlichen Kenngrösse dieser Warnstufe, wird die aktuelle Lawinensituation in den jeweiligen Gebieten beschrieben. Die Interpretation dieser Texte und Skalen verlangt viel Übung bis sie bei euch in Fleisch und Blut übergeht.

Schliesslich solltet ihr die Zeit vor eurem Powder Day nutzen, eure Ausrüstung zu kontrollieren. Dass LVS, Rucksack, Schaufel, Sonde und Helm lebensnotwendig sind, brauche ich hoffentlich nicht mehr zu erwähnen. Ein Blick auf die Batterie-Anzeige eures LVS-Gerät lohnt sich, denn ohne Saft, nutzt einem das neueste Modell nichts. In den letzten Jahren haben sich ganz klar die digitalen Mehr-Antennen-Syteme durchgesetzt. Diese erlauben auch dem etwas „ungeübteren“ Rider die Ortung eines Verschütteten im Ernstfall. Deutlich im Vormarsch sind ABS Rucksäcke (www.abs-airbag.com). Dass die Packs mit ihrem Lawinen Airbag Leben retten kann, steht ausser Frage, jedoch sollte man sich mit den Airbags nicht als unsterblich sehen! Zum Schluss will ich nur noch ein Wort zu den Schaufeln verlieren. Klar, sind die Modelle aus Plastik leichter, dennoch nehmen es nur Schaufeln aus Alu oder verstärktem Karbon mit dem komprimierten Schnee in Lawinenkegeln auf, also spart nicht an der falschen Stelle! Das gilt für die komplette Lawinenausrüstung.


Die Entscheidung, ob ihr am Berg in einen Hang einfährt oder nicht, nimmt euch letztlich niemand ab, ausser ihr seid mit einem Bergführer unterwegs. Nur wer sein Wissen auf die lokalen Bedingungen übertragen kann, hat eine Chance, die Lawinen-Situation optimal einzuschätzen.

Wie ich oben schon erwähnt habe, tragen Hangneigung, Höhenlage und Exposition entscheidend zur Entstehung von Lawinen bei. Diese drei Faktoren lassen sich aber im Gegensatz zu den vielen anderen Einflüssen messen. Für alle, die stolzer Besitzer eines iPhones sind, hat Mammut mit dem Safety App die passende Applikation entwickelt, die eben diese Werte bestimmen kann und euch zudem einen Link zum aktuellen Lawinenlagebericht vorinstalliert hat Unter www.mammut.ch/safetyapp. Könnt ihr die Software kostenlos downloaden. Es gibt aber natürlich auch viele andere Geräte, die euch dabei helfen. Habt ihr die notwendigen Daten gesammelt, wird es schwieriger. Ihr müsst nun die unterschiedlichen Zeichen deuten, die Wind- und Temperaturverlauf im Hang vor euch hinterlassen haben. Und dem nicht genug, zudem müsst ihr all das mit dem Lawinenlagerbericht in Relation setzen. Hierfür gibt es unterschiedliche Strategien die euch bei dieser schwierigen Aufgabe helfen. Diese nutzen euch aber nur, wenn ihr die immer wieder übt. Nur dann können sie euch vor Gefahren schützen. Deutlich einfacher sind da die Alternativen der DAV Snowcard (www.av-snowcard.de) oder des Check and Ride von Ortovox (www.ortovox.com). Beide Varianten unterstützen euch bei der Frage, ob ihr gefahrlos den vor euch liegenden Hang befahren könnt oder nicht, wobei die Handhabung extrem easy ist. Dennoch können sie niemals als Alternative zur intensiven Beschäftigung mit der Lawinen-Thematik herangezogen werden.

Bleibt nur noch euer Verhalten beim Riden. Und das ist sogar eine der grössten Ursachen, wenn nicht sogar die grösste überhaupt. Immer wieder taucht im Zusammenhang das Wort „Gruppendynamik“ auf. Wie schwer ist es nämlich „NEIN“ zu dir selber und zu deinen Kumpels zu sagen, wenn der Hang vor euch so fett aussieht. Das ist schwer, ich weiss. Habt ihr euch auf einen Hang geeinigt, gibt es einiges zu beachten. Wählt eure Line gemäss dem Level, auf dem ihr euch momentan befindet und fahrt nicht wild drauf los. Es wird grundsätzlich nur einzeln gefahren, dass im Falle eines Abgangs nicht die ganze Gruppe verschüttet wird. Macht strategisch sichere Treffpunkte aus. Bestimmt eine Person, die als letztes fährt und somit helfen kann, falls es von euch einen schmeisst. Wie ihr euch verhaltet, wenn es trotz all eurer Vorsicht dennoch zum Lawinenabgang kommt, zeige ich euch auf der nächsten Seite.

OK, ihr habt gewissenhaft alle Punkte des Risiko-Managements befolgt und dennoch erschüttert euch ein gewaltiges Grollen und schon treibt ihr auf einem riesigen Schneebrett dahin.

Gehen wir von der Regel aus, dass ihr es nicht schafft, seitlich aus der Lawine zu fahren, ihr seit mehr oder weniger ausgeliefert. Ihr könnt lediglich versuchen, noch euren Airbag zu zünden, euch von euren Stöcken befreien und durch Schwimmbewegungen versuchen an der Oberfläche zu bleiben. Der Rest ist mehr oder weniger Glücksache und das Ergebnis der schnellen Ortung deiner Freunde. Denn ist das Schneebrett erst einmal zum Stillstand gekommen, könnt ihr nicht mal mehr euren kleinen Finger bewegen. Wenn möglich müsst ihr euch kurz vor Stillstand der Lawine mit euren Armen und Händen eine Atemhöhle herstellen. Das Zauberwort heisst nämlich „Luft“! Jetzt hilft nur noch Ruhe bewahren und darauf hoffen, dass deine Crew einen guten und vor allem einen schnellen Job macht. Laut Statistik überleben nämlich 90% Prozent aller Verschütteten die ersten 15 Minuten. Die Zeit, bis die Bergrettung mit ihren Hunden kommt, hast du wahrscheinlich nicht.

Gehen wir lieber davon aus, du hattest Glück und die Lawine ist unter dir abgegangen. Jetzt kannst du die Geschehnisse selbst beeinflussen. Wie gesagt, ihr habt 15 Minuten. Das ist euer Zeitfenster, das ihr optimal nutzen müsst. Also Ruhe bewahren! Ok, durchzählen! Es fehlt genau einer aus eurer Gruppe. Wo habt ihr ihn das letzte Mal gesehen? Sprecht miteinander, nur so könnt ihr ungefähr den Lagepunkt des Opfers und den primären Suchbereich eingrenzen. Vielleicht schaut ja doch noch eine Hand oder ein Stock aus dem Schnee. Wenn nicht, müsst ihr die Suche organisieren. Der Erfahrenste von euch sollte jetzt die Gruppe einteilen. Zuerst alle die LVS-Geräte auf Suchen stellen, um bei der Ortung nicht durch unnötige Sendesignale die Suche zu behindern und Handys aus. Vorher noch die Bergwacht informieren. Der Rest holt Schaufel, Sonde und 1. Hilfe Kit aus dem Rucksack. Wie die sogenannte Grob-, Feinsuchsuche und Punktortung funktioniert, lernt ihr bei den Lawinencamps. Die Bergführer werden euch eintrichtern, dass ihr immer wieder mit dem LVS trainieren müsst, biss die Ortung für euch automatisiert abläuft. Nur so könnt ihr im Ernstfall die Ruhe bewahren und seid in der Lage euren verschütteten Freund zu finden.

Und jetzt hoffe ich, dass keiner von euch jemals in eine Lawine gerät oder einen seiner Freunde suchen muss. Respekt the Mountains. Ride on!

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