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Travel

Skitouring in Sibirien – Einsame Abfahrten am größten See der Welt

Das Abenteuer Skitouring in Sibirien stand für Chris und seine Freunde im vergangenen Winter auf dem Programm! Er teilt mit uns seine Erlebnisse!

von Chris Lemke

“Was sollen wir denn im Mamay Gebirge?” – Mein Kumpel Vogge holt gerade Luft zur Antwort während ich Tante Google anwerfe. Alle Ergebnisse sind in kyrillisch und ich verstehe natürlich gar nichts. Auch ein Klick auf die Karte führt ins Nirgendwo. Ich höre eh nur noch zur Hälfte zu, als er mir von einer einsamen Hütte, viel Schnee und Bären erzählt. “Was, da gibt’s Bären?” – Jetzt hat er meine Aufmerksamkeit wieder. Das die im Winter schlafen, beruhigt mich in Tagen des Klimawandel nicht wirklich.

Aber von Anfang an: Ein anderer Kumpel, Julian, hat den diesjährigen Abenteuerurlaub organisiert und dieser führte uns an den größten und tiefsten See dieser Erde: Den Baikalsee in Sibirien. Und weil wir im Februar dort sein würden ist der klarerweise zugefroren. Das ist aber kein Problem, weil Julz’ Plan ist eh, den See zu Fuß zu überqueren, und zwar von West nach Ost. Das sind in unserem Falle ca. 50 Kilometer, die wir im Stil von Amundsen und Scott gehend mit unseren Schlitten bewältigen werden. Und wenn wir eh schon so weit reisen, könnten wir auch gleich noch ein weiteres Abenteuer dran hängen: Skitouren in der direkten Umgebung, eben in diesem Mamay Gebirge.

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Und Vogge, in seinem Personalausweis steht Volker, hat über Facebook in Verbindung mit Google Translate einen Guide gefunden, der uns direkt im Anschluss übernehmen würde und Skitouren mit uns macht. Ich, Chris, in meinem Personalausweis steht Christian, bin eigentlich gar kein richtiger Wintersportler. Im Sommer betreibe ich Bergwasser, ein Outdoorunternehmen für Canyoning- und Raftingtouren und in den Randzeiten wandere ich gerne. Wegen chronischer Überfüllung der Allgäuer Skigebiete habe ich mit dem Skitourengehen begonnen und bin hier und da abseits der Piste unterwegs. Ob meine Kenntnisse für diesen Trip reichen, ist eine wichtige Frage, die ich mir aber in diesem Moment nicht stellte. “Auf geht’s Chris, sag schon JA”. Ich lege auf und lehne mich zurück. “Hast du echt für Vogge’s Skitourenabenteuer zugesagt?”. Er hat wohl schon öfter drüber gesprochen, aber das ist in Zeiten der Canyoning Hochsaison wohl irgendwie in mir vorbei gegangen. Meine Freundin Lisa hat wohl besser zugehört und kennt mich gut genug, dass ich bei solch verlockendem Angebot selten Nein sage. So war es dann auch.

Wir spulen vier Monate vor und finden uns am Ostufer des Baikalsee wieder. Unsere Baikalcrew ist gerade abgereist, wir haben die letzten Tage gemeinsam den Baikalsee überquert haben gefroren, gecampt und uns nach der erfolgreichen Überquerung ordentlich gefreut. So sehr, dass wir uns natürlich ordentlich betrunken haben und nun bei Tee und Stille im Hostel sitzen. Laut Google Translate sollen wir in den nächsten Minuten von Sergey abgeholt werden. Sergey ist Skitourenguide in Sibirien, hat eine Hütte im Mamay Gebirge und kennt sich so gut aus, dass er uns führen kann und möchte. So sagt zumindest Google Translate, denn Sergey spricht kein Englisch und wir leider auch kein Russich. Aber um punkt 10 Uhr schwingt die Tür auf, Sergey grinst uns an und es ist klar, dass wir hier richtig sind.

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Wir verladen also unser Material, setzen uns zu ihm ins Auto und fahren irgendwo ins nirgendwo. Hier satteln wir um und fahren mit dem schweigsamen Schneemobilfahrer das namenlose Tal hinauf. Die Fahrt dauert ca. 30 Minuten, weil ich Splitboarder bin darf ich auf dem Schneemobil Platz nehmen, Sergey und Vogge werden hinterher gezogen. Nach einem unvermittelten Stopp gibt uns Sergey zu verstehen, dass wir angekommen sind. Wo wir angekommen sein sollen, verstehe ich nicht so richtig, denn ich sehe gar nichts. Aus meiner Sicht stehen wir mitten in der sibirischen Taiga, es liegt ein guter Meter Schnee und weit und breit ist nichts zu sehen außer Wald und Schnee. Aber wir machen uns startklar und das Schneemobil dreht um und fährt zurück. Wir stehen also mitten im Wald und es bleibt uns wohl nichts anderes übrig: Wir folgen mit unserem kompletten Gerödel Sergey’s Spur durch den Wald. Und hier bekommen wir unsere erste Dosis Sibirien zu spüren. Es ist mit ca. minus 15 Grad eher kalt, und es ist still. Verdammt still. So still, wie es nur sein kann. Man hört einfach nichts. Der viele Schnee scheint alle Geräusche aufzusaugen und nichts davon abzugeben. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Bei der Überquerung des Sees gab es wenigstens etwas Wind, das unaufhörliche Kratzen des Schlitten auf dem Eis und gelegentlich einen Schwatz mit einem Kameraden. Aber hier gibt es einfach nur Stille. Ich kann es nicht glauben und kratze mit meinem Skistock an einer Fichte – ok, der Baum ist echt und wenn man ihn berührt gibt es Geräusche. Vogge grinst mich an und gibt mir zu verstehen, dass er sich wohlfühlt und das genau das ist, was er sich vorgestellt hat. Ich bin mir da noch nicht sooooo sicher. Aber mal sehen.

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Nach einem kurzen Marsch kommen wir an der Hütte an, machen Feuer und packen unser Zeug aus und kochen unsere erste Mahlzeit. Alles hier ist natürlich sehr einfach gehalten: Gekocht wird auf einem kleinen Gasherd, Wasser kommt aus dem Bach (der auch bei minus 30 Grad noch fließt) und die Toilette ist nur ein Loch in einem kleinen Holzverschlag. Kein Ort, an dem man unnötig viel Zeit verbringen möchte. Nach dem Essen besprechen wir den Plan den Plan für den kommenden Tag – Sergey fuchtelt wie wild auf einer selbstgemalten Karte herum und erzählt auf Russisch, wo wir überall herunter fahren werden und was wir erleben werden. Wir verstehen nicht so richtig viel und trinken aber trotzdem einige “Black Freerider” – eine solide Whiskey – Vodka Mischung, die tatsächlich eher selbstgebrannt schmeckt. Nach einer Flasche sind wir immer noch nicht schlauer, fühlen uns aber sehr sehr gut.

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Am nächsten Tag geht’s dann endlich los – zum Sonnenaufgang verlassen wir unsere Schutzhütte und machen uns bei Minus 20 Grad auf den Weg. Und wieder finden wir uns in der absoluten Stille der sibirischen Taiga wieder. Wir gehen durch eine Mischung von Birken- und Zedern Bäumen bergauf und versuchen mit Sergey mitzuhalten. Obwohl er die 40 schon lange überschritten haben dürfte, sein Material auch aus einem 90er Film kommen könnte und auch schon einen kleinen Bauch mit sich herum trägt, kommen wir trotzdem kaum hinterher. Der Schnee liegt so hoch, dass die Schneehöhe nicht angegeben werden kann und ist so weich, dass ich meinen Skistock ohne Mühe bis zum Griff in den Schnee stecken kann. Daran mangelt es jedenfalls nicht.

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Wir machen so ca. 700 Höhenmeter und kommen dann mittelmäßig erschöpft bei Sergey an. Er trinkt bereits Tee und beschreibt uns wild fuchtelnd die Abfahrt. “This” er zeigt auf einen Abhang “Danger – no fall zone!” Ok, das habe ich verstanden. Und dann: “This also, very Danger! No fall here” – ich folge mit meinem Blick seinen Ausführungen und verstehe aber nur Bahnhof. Ich bilde mir ein, dass alles gut sein wird, wenn ich nur Sergey folge. Selbstverständlich sind wir mit LVS, Sonde und Schaufel ausgestattet und können uns in der Theorie gegenseitig helfen. Die Praxis wollen wir lieber nicht ausprobieren.

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Gipfelkreuze sucht man in Sibirien übrigens vergeblich, wir müssen uns mit dem unvergleichlichen Ausblick in die einsamen Täler begnügen. Im Süden sieht man ins Herz des unberührten Mamay Gebirge, im Norden schimmert der zugefrorene Baikal See in seinem unendlichen weiß. Als wir uns wieder gesammelt haben, ist Sergey startklar, grinst uns an und startet die Abfahrt. Alles sieht gut aus und wir folgen.

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Und es ist eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Ich bin unter den wachsamen Augen von Sergey unten, Vogge beobachtet mich vom Startpunkt. Ich bin also nicht allein, verkacken sollte ich die Abfahrt aber auch nicht. Passiert auch nicht. Mit regelmäßigen Schwüngen folge ich Sergey’s Spur in Richtung Tal. Er hat sich in einer Baumgruppe verschanzt, falls ich eine Lawine lostreten sollte.

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Unten angekommen – unendlich glücklich und erschöpft. Diese Abfolge von Schlafen, Essen, Trinken (!) und Skitouren werden wir nun wiederholen. Tag für Tag, egal ob die Sonne scheint, es bewölkt ist oder schneit. Aufgrund des Lakeside Effektes schneit es am Südufer des Sees nämlich sehr oft und sehr heftig. Dazu staut sich die Luft bei Nordlage am Gebirge auf und es schneit noch mehr. Nur, falls ihr nicht richtig aufgepasst habt: Im Mamay Gebirge gibt’s so viel Schnee, wie man sich nur vorstellen kann – es schneit einfach richtig richtig viel.

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Ach ja, eine Sache darf nicht unerwähnt bleiben: Die Banja – russisch für Sauna! Das war ein Erlebnis. Direkt nach der Tour hat Sergey die Banja angeworfen, nachdem wir uns umgezogen und einen Happen gegessen hatten, war diese dann auch heiß. Wir sitzen also in der sehr heißen Sauna (Thermometer: Fehlanzeige) und mussten sogar Kopfbedeckungen tragen, weil es einfach so heiß war. In der Sauna hat Sergey uns dann mit Lorbeerblättern traktiert, und, wenn wir nicht gejammert haben, uns danach mit reichlich Black Freerider belohnt. Nach dem obligatorischen Abkühlen im Schnee oder im teilweise gefrorenen Teich war wir in einem Zen – ähnlichen Zustand. Der Temperaturunterschied von geschätzten +80 Grad in der Sauna auf -20 im Freien in Verbindung mit Alkohol und der “Massage” mit den Lorbeerblättern sorgt dafür, dass die Endorphine den Körper fluten.

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All das in Kombination: Sergey’s Herzlichkeit, die unvergleichliche Natur, der Schnee, die Kälte, die Einsamkeit macht den Trip unvergesslich. Es war anstrengend und auch schmerzhaft, (wie oft ich mich selbst ausgraben musste, lasse ich einfach mal unerwähnt) aber missen möchte ich es nicht.

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