Freeskier sind Outlaws. Sie verkörpern Rock ’n’ Roll und die Attitude unseres Sports. Ist das wirklich so oder verhält es sich inzwischen wie in vielen anderen Sportarten, in denen Laktatwerte, Muskelmasse und andere physische Kenngrößen wichtiger scheinen als eine smoother Style? Oder trauern wir nur alten Zeiten nach und Freeskiing ist ohne körperliche Fitness erst gar nicht mehr möglich? Wir haben mit Lolo Favre und Sven Küenle zwei Szene-Veteranen zu diesem Thema befragt.
Zuerst darf Herr Küenle seinen Svenf dazugeben:
Wie sieht für dich ein typischer Abend vor einem Contest- oder Film-Tag aus?
Stretchen, lesen und früh ins Bett gehen.
Wie reagierst du, wenn genau an diesem Abend deine Boys rein- platzen und dich zum Partymachen überreden wollen?
Die Chance, dass das passiert, ist sehr gering. Das liegt an der Tatsache, dass die ganze Crew sehr fokussiert ist und wir meist an sehr abgelegenen Orten filmen. Von Party kann da also keine Rede sein. Angenommen, es würde aber trotzdem passieren, würde mich die Party nicht interessieren.
Hast du einen Trainings- oder gar einen Ernährungsplan?
Ich trainiere körperlich und mental recht viel. Dank Lenz, meinem Trainer aus der Sportschule FFB Puch, habe ich die besten Voraus- setzungen, um mich optimal körperlich fit zu halten! Mental mache ich noch mehr, da ich für mich erfahren habe, wie wichtig die Psyche und Spiritualität für das sind, was ich mache. Hier habe ich auch die größten Leistungssprünge geschafft. Die Ernährung ist natürlich ebenfalls ausschlaggebend, da sie die Energie liefert, die den Körper und den Geist versorgt. Ich esse kein Fleisch und versuche auch „on the road“ nur biologisch zu essen, so gut es geht.
Und wie wirkt sich deine Vorbereitung auf dein Leben und dein Riding aus?
Meine Einstellung hilft mir in der Regel jeden Tag. Ich versuche, mit vollem Bewusstsein Ski zu fahren und die richtigen Entschlüsse zu fassen. Es gibt nämlich auch Tage oder Momente, in denen ich entscheide, eine Line an diesem Tag nicht zu fahren. Mein Bewusstseinszustand gehört zu meiner Einstellung. Insofern kann ich sagen, dass mir diese schon in vielen Situationen geholfen hat.
Glaubst du, dass sich die Einstellung im Freeskiing geändert hat?
Die Einstellung im Skiing hat sich schon geändert, in erster Linie mit dem Wachstum der Industrie. Von Seiten der Fahrer wird der Sport zunehmend ernsthafter betrieben und die Kids gehen ins Gym, um sich fit zu halten. Sie trainieren sehr spezifisch und effi- zient. Dazu kommt ein Generationenwechsel, und dass Freeskiing olympische Disziplin wird, bringt automatisch eine große Veränderung mit sich. Diese mag äußerlich vielleicht professioneller wirken, läuft meiner Meinung nach aber auch Gefahr, dem Sport die Seele zu nehmen. Die jüngeren Generationen sind jetzt die, die unsere Roots nicht mehr kennen und zu wenig hinterfragen! Natürlich muss sich unser Sport entwickeln – nur wohin, das liegt an der Einstellung der Freeskier selbst.
Was hältst du davon, dass manche Sponsoren Fitness-Tests mit ihren Fahrern veranstalten, um zu checken, dass sie im Team blei- ben können? Entspricht das noch dem Spirit des Freeskiing?
Na ja, das ist ein Vorbote dessen, wo Freeskiing landen könnte, wenn man es zulässt – wie beim klassischen Leistungssport eben! Auf dem Niveau, auf dem Freeskiing heute steht, ist körperliche Fitness unweigerlich sehr wichtig ist. Von der Fitness allein abhängig zu machen, ob jemand im Team ist oder nicht, ist meines Erachtens nach sehr blauäugig und macht keinen Sinn. Letztlich geht es ja um die Leistung und die Fähigkeit, die einer beim Skifahren erbringt.
So, jetzt du, Lolo:
Stretchen, lesen und früh ins Bett gehen – Das ist doch sicher nicht dein Style oder?
Das hängt in erster Linie von den Vibes des Events ab. Manchmal trifft man eben nur bei Contests auf diverse Rider, die man schon lange nicht mehr gesehen hat – und dann nehmen die Dinge ihren Lauf… Shit happens! Aber grundsätzlich vermeide ich Partys vor Contests oder Shootings und chille lieber.
Aha. Dann waren das wohl immer Ausnahmen, bei denen wir dich nachts noch getroffen haben?
Mich für eine Party zu motivieren ist nicht gerade schwierig. Sie müssten mich nur fragen, ob ich auf einen Drink mitkommen will. Und seien wir mal ehrlich: Wer trinkt in der Bar wirklich nur einen?
Apropos trinken – Gehört das zu deinem Ernährungsplan?
Also, einen Ernährungsplan habe ich nicht. Dafür gehe ich aber im Sommer fünfmal die Woche zum Eisenbiegen. Außerdem wandere ich viel und spiele sechs Stunden Eishockey pro Woche.
Und das bereiret dich auf eisige Landungen vor, oder wie?
Der positive Effekt meines Trainings ist, dass ich die Overshoots an den Kickern wegstecken kann. Nein, im Ernst: Klar hilft mir das Training, die ganze Saison möglichst verletzungsfrei zu bleiben und Scheiße zu fressen. Ansonsten dringt das aber nicht wirklich zu mir durch, mein Verstand schreit nicht unbedingt nach Work-out. Es ist also eher eine Art Verrücktheit, die ich beizubehalten versuche…
Glaubst du, dass du mit dieser Einstellung eher die Ausnahme bist? Der Sport hat sich doch im Spirit schon sehr verändert.
Nein, ich denke eher, dass sich unser Sport mehr und mehr in zwei separate Lager entwickelt. Die eine Seite trainiert extrem hart für Contests, während sich die andere Seite mehr aufs Filmen konzentriert und es dabei etwas lockerer angehen lässt. Neben diesen beiden Lagern gibt es aber immer noch Jungs, die sich auf Partys die Schelle geben und dennoch auf den großen Events mitfahren. Weil das Level aber in den letzten Jahren extrem gestiegen ist und Doubles zum Standard gehören, wird es für die Party-Fraktion aber immer schwieriger, da mitzuhalten. Natürlich spielt auch Geld eine wichtige Rolle. Bei den inzwischen fetten Preigeldern überlegt man sich schon, wie lange man sich vor dem Contest in Bars herumtreibt. Für mich ist der Spirit aber immer derselbe geblieben und es gibt noch viele Dinge zu erleben und Partys zu feiern.
Für dich vielleicht. Für viele andere Rider sind Parys nicht mehr so einfach mit den Forderungen ihrer Sponsoren unter einen Hut zu bekommen. Da gibts ja sogar Leistungstests. Das machen die doch bei Red Bull so, oder?
Die Sache ist die, dass sich Freeskiing unheimlich weiterentwickelt hat. Manchmal hat man fast den Eindruck, es handele sich bei den Protagonisten eher um Athleten als um Rider. Das hört sich jetzt vielleicht negativ an, aber wenn man bedenkt, was inzwischen auf Skiern abgeht, ist es wohl eine nützliche und somit gute Sache. Schließlich geht es einzig und allein darum, den Fahrer bei den harten Bails zu schützen. Ist das noch der Spirit of Freeskiing? Nein – jedenfalls nicht meiner, auch wenn sich unser Sport wie alle anderen verändert. Ich bin froh, dass ich Freeskiing in den „goldenen“ Jahren miterleben durfte.
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